Ein Brief an mein 60kg schwereres Ich: Die Fragen, die bleiben
Moin Leute,
manchmal, wenn ich heute eine Treppe nehme, ohne darüber nachzudenken, oder mir im Laden ein Hemd von der Stange greife, das einfach passt, dann halte ich kurz inne. In diesen Momenten denke ich oft an den Mann, der ich vor über sechs Jahren war. Ein Mann, der 60 Kilogramm mehr mit sich herumtrug als heute.

Wenn ich diesem Mann von damals heute einen Brief schreiben könnte, wäre er voller Fragen. Fragen, die ich ihm heute aus der Ferne stellen möchte.
Mein lieber Freund,
ich sehe dich und ich weiß, wie du dich fühlst. Aber eine Frage brennt mir auf der Seele: Warum hast du nicht gemerkt, dass es mit deiner Gesundheit immer schlechter wird?
Ich weiß, du hast es verdrängt. Die Knieprobleme, das schwere Atmen, den hohen Blutdruck – all das wurde zur Gewohnheit, zu einem Rauschen im Hintergrund. Du hast gelernt, damit zu leben, hast die Signale deines Körpers ignoriert, bis sie zum Normalzustand wurden. Aber von hier aus, aus der Zukunft, sehe ich klar, wie sehr dein Körper jeden Tag gekämpft hat.
Und das führt mich zur nächsten, der wohl wichtigsten Frage: Warum hast du es überhaupt so weit kommen lassen?
Ich glaube, ich kann es für dich beantworten, denn ich erinnere mich: Es war ein schleichender Prozess. Kein plötzlicher Knall, sondern ein leises, stetiges Zunehmen. Ein bisschen weniger Bewegung hier, die gleiche Kalorienmenge da. Ein Kilo mehr im Jahr fällt nicht auf. Fünf Kilo in drei Jahren auch kaum. Es ist wie eine langsame Strömung, die dich unbemerkt aufs offene Meer hinaustreibt, bis du eines Tages aufwachst und das Ufer nicht mehr sehen kannst. Und immer so weiter.

Aber ich schreibe dir diesen Brief nicht, um Vorwürfe zu machen. Ich schreibe ihn, um dir Hoffnung zu geben. Um dir von einem Gefühl zu erzählen, das für dich heute unvorstellbar ist.
Weißt du, was Freiheit wirklich bedeutet?
Freiheit ist, einfach mal eben die Treppe rauf und auch wieder runterzugehen, ohne vorher zu überlegen, ob du das schaffst.
Es ist das unbezahlbare Gefühl, nicht mehr nachdenken zu müssen, ob ein Bummel über den Jahrmarkt möglich ist, oder ob du dich nach 100 Metern wieder für 10 Minuten hinsetzen musst. Es ist die Leichtigkeit, sich zu bewegen, ohne zu planen. Die Fähigkeit, am Leben teilzunehmen, ohne den eigenen Körper als Anker am Bein zu spüren.
Dieses Gefühl, mein Freund, wartet auf dich. Es ist jeden einzelnen schweren Schritt wert.
In Verbundenheit, Dein Küstenkerl